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Cricket in Halle: SG Einheit will professionelle Strukturen aufbauen

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Halle (Saale) – Laut schallen die Jubelrufe über das Feld, ausgelassen springen die Spieler aneinander hoch und umarmen sich. Dann versammeln sie sich in einem Kreis, und schreien sich an. Ich glaube, sie rufen SG Einheit Halle, meint Geschäftsführer Michael Koch lächelnd. So richtig verstehen kann man das gebrochene Deutsch zwar nicht – doch so feiern die Cricket-Spieler in seinem Verein nun mal ihre Erfolge auf dem Spielfeld.

Cricket in Halle: Viele Spieler aus Afghanistan

Seit dieser Saison ist das junge Team in der Landesliga und der Regionalliga Ost, der zweiten deutschen Cricket-Liga, unterwegs – unter der Schirmherrschaft der SG Einheit Halle. Keiner der Spieler ist in Deutschland geboren, sie kommen vorrangig aus Afghanistan. Eins haben sie alle gemeinsam: die große Leidenschaft für Cricket. In ihrer Heimat wird es sogar von den Kindern auf der Straße gespielt, in Halle sind sie bisher ein paar wenige, die sich für den Sport begeistern.
„Cricket ist einfach mein Lieblingsspiel. In Afghanistan gibt es das so oft, und ich habe schon als Kind gerne gespielt“, erzählt Übungsleiter Zaker Ahmadi, der seit 2015 in Deutschland ist. Zum Ligaspiel steht er am Spielfeldrand und überwacht die Züge seiner Jungs. Zwischendurch ruft er immer wieder kurze Anweisungen oder lobt mit den Worten „gut gefangen“, wie er es übersetzt. Einige Spieler haben noch Probleme mit der deutschen Sprache. „Deswegen unterhalten wir uns im Training meistens auf Urdu, Paschtu oder Persisch“, erklärt er.

Einfach ist es unter solchen Bedingungen nicht, eine eigene Abteilung aufzubauen. Schon beim E-Mail-Schreiben tut sich Ahmadi schwer, ganz zu schweigen davon, aktive Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Zum Glück haben die Spieler den Rückhalt durch Michael Koch. Das Vorstandsmitglied der Sportgemeinschaft bot den Sportlern 2017 die Möglichkeit, auf der Anlage seines Vereins Cricket zu spielen. Vorher hießen die Spielstätten Stadtpark und Thüringer Bahnhof – mit einem provisorischen Tape-Ball, und Konflikten mit Fußgängern. „Einmal ist der Ball in der Chips-Tüte einer Passantin gelandet. Es ist nichts passiert, doch die Polizei hat uns danach immer wieder aus dem Park geworfen“, so Ahmadi.

Anfangs hatten viele im Verein Berührungsängste, wussten nichts über das seltsame Spiel mit den Schlägern und Holzstäben. Probleme gab es zum Beispiel mit den Fußballern, als man sich über Trainingszeiten und Platzbelegung an den Wochenenden abstimmen musste. Weiterhin befürchteten manche, die Cricketspieler würden den Rasen zerstören, erzählt Koch. „Solche Ängste kenne ich nicht. Die Jungs sind alle unglaublich höflich und zuvorkommend, und das Spiel ist sehr interessant“, so Koch.

Cricket bei SG Einheit Halle soll professioneller werden

Cricket ist ein Schlagspiel mit den Ursprüngen in England. Die Grundlage ist das Duell zwischen dem Werfer (Bowler) und dem Schlagmann (Batsman). Mit einem Holzschläger wird der geworfene Ball so weit wie möglich weggeschlagen- je nachdem, wo er aufkommt, und ob er gefangen werden kann oder nicht, gibt es Punkte für die Mannschaft des Batsman.
Die SG Einheit Halle gibt es seit 1948, das Vereinsgelände liegt in der Merseburger Straße. Mit elf verschiedenen Abteilungen ist der Verein einer der größten in Halle. Die Fußballer konnten in dieser Saison mit dem Aufstieg in die Landesklasse glänzen- das dürfte auch HFC-Profi Julian Guttau gefreut haben. Bei Einheit begann er mit dem Fußball spielen.
Doch auch er musste sich erst mit den Regeln vertraut machen, musste lernen, für welche Spielzüge es Punkte gibt und dass so ein Cricketspiel schnell mehrere Stunden dauern kann. Mittlerweile ist er zum richtigen Cricket-Fan geworden und verfolgt die Spiele gerne vor Ort. Für seinen Einsatz sind ihm die Spieler sehr dankbar. „Es ist echt cool, dass wir jetzt in der Liga spielen“, meint Ahmadzai Rokhan, einer der Spieler, begeistert.

Michael Koch ist jedoch noch lange nicht fertig mit dem Projekt, er will professionelle Strukturen aufbauen, Sponsoren finden, aktiv in das Marketing einsteigen. Die SG Einheit ist im Förderprogramm des Landessportbundes und bekommt Fördermittel aus dem Pool „Integration durch Sport“.

Das Geld wird benötigt für die Ausrüstung, die Auswärtsfahrten nach Berlin und den Aufbau der Jugendarbeit. So dankbar Ahmadi für diese Unterstützung auch ist, so realistisch sieht er die Situation. „Das reicht leider nicht. Wir brauchen viel Geld für diesen Sport, und Unterstützung zu bekommen ist schwer.“

Cricket-Talente aus Halle schon im Fokus der Nationalmannschaft

So groß die Ambitionen beim Projekt Cricket sind, so groß ist auch das Risiko: Viele der Spieler aus Krisenregionen wissen nicht, ob ihre Aufenthaltsgenehmigung auch im nächsten Jahr verlängert wird. Das Team kann also von einer Saison zur nächsten auseinanderbrechen. Ist ein Zweit- oder sogar Erstligabetrieb da überhaupt möglich?
Michael Koch ist optimistisch. „Wir haben in der Stadt viele Inder, die den Sport lieben. Da gibt es einige, die richtig gut vernetzt sind zu den Top-Spielern in der Heimat. Von solchen Strukturen können wir profitieren.“

Talente hat die Truppe aus Halle jetzt schon vorzuweisen. Vier U-19-Spieler wurden zur Sichtung für den Nationalkader eingeladen. Ausgerechnet an diesem Wochenende mussten die Jungs jedoch ihre Mannschaft bei einem Spiel unterstützen. „Wer weiß, vielleicht kommt bald ein Nationalspieler von Einheit“, meint Koch.

Michael Koch optimistisch: Halle will in die Bundesliga

Das neue Team ist mit drei Siegen, einem Unentschieden und einer Niederlage gut in die Regionalligasaison gestartet. Bis September werden sie sich noch mit Mannschaften aus Berlin und Magdeburg messen. „In unserer Liga spielen einige zweite Mannschaften, die Erste spielt dann in der Bundesliga. Da wollen wir auch hin“, so Koch.

Er sieht das Projekt Cricket als Repräsentationsmöglichkeit, man werde über die Landesgrenzen hinaus wahrgenommen. Im Raum Halle hat die Abteilung ein Alleinstellungsmerkmal. „Ich möchte hier ein Stadion bauen, mit zwei Feldern. Eins zum Trainieren, eins zum Spielen“, spricht Ahmadi über seine Cricket-Träume.

Das werden erst einmal Illusionen bleiben – doch der Schritt vom Tape- zum Holzball, von der Stadtparkwiese zum Rasenplatz mit Tribüne ist gemacht. Nun gilt es, sich in den Cricket-Ligen zu etablieren. Die Spieler von der SG Einheit Halle sind auf einem guten Weg. 

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung – Beitrag von Hannah Lübben